Geschichte

Die Timmdorfer Dorfschule

In Timmdorf begann der Schulunterricht als sogn. „Winterschule“ im Jahr 1669 unter dem Lehrer Max Plath. Im Sommer mussten die Kinder zu Hause und auf den Feldern helfen.

Für das Jahr 1709 wird – unerwartet fortschrittlich – Frau Heitmann als Lehrerin genannt. Die Schulkate befand sich etwa südlich der heutigen Schranken, auf dem damaligen Gelände des Ohlenhofes. Später wurde ein neues Gebäude auf dem heutigen Platz erbaut, als Schulhof diente lange Zeit die Straße! 1887 bis 1922 wurde der Schulhof auf dem Grundstück zwischen Schule und Trentsee angelegt, von letzterem durch eine große Hecke abgetrennt.
Das Gehalt der Lehrer betrug 10 Mark, dazu gab es von den Bauern je 1/2 Tonne Roggen, von den Arbeitern je 1 Mark, dazu fürs Schreiben und Rechnen pro Kind und Woche 1 Mark. Der Lehrer hatte „Freiweide“ für zwei Kühe und 6 ha Land in verschiedenen Lagen  –  die „Schulkoppeln“.

Besonders verdient hat sich um die Geschichte des Dorfes der Lehrer Löhndorf (1890 bis April 1932) durch das fachkundige Zusammentragen alter Urkunden bei den Familien des Dorfes, in Kirchenarchiven und dem Landesarchiv; seine Dorfchronik gibt einen Einblick in die Verfasstheit des Dorfes während der letzten Jahrhunderte, bewahrte alte Flur- und Familiennamen. Dazu erstellte Löhndorf  eine Karte der Timmdorfer Flur, die Radlandsichten und den Hafkamp mit einfasst. Nach Lehrer Löhndorf folgte der noch junge Willy Kröger, der aber bereits zu Beginn des Krieges eingezogen wurde und sehr bald als erster Timmdorfer an der Front starb. Langjähriger Lehrer waren anschließend Karl Hallmann, ferner Herr Siebert, Fau Dornbusch und die letzten Jahre bis zur Auflösung der Schule 1972 Frau Ebeling.

Die Kinder saßen nach „Klassen“ getrennt: vorn das erste, ganz hinten das 9. Schuljahr. Die jeweils Älteren durften die Hausaufgaben der Jüngeren durchsehen und diesen auf Wunsch des Lehrers auch sonst helfen. Wenn der Lehrer mit einem Schuljahr ein bestimmtes Thema erarbeitete, hatten die anderen ihre besonderen „Stillaufgaben“ zu erledigen.Sobald jemand seine Aufgaben fertig hatte, durfte er dem mündlichen Unterricht der anderen Schuljahre folgen und wurde auch, wenn er es wollte, in diesen einbezogen. Quer zu den acht „Schuljahrsbänken“ stand eine „Schlingelbank“, auf die jemand versetzt wurde, wenn er zu sehr störte.
Der Lerneffekt dieser in vielem fächer- und themenübergreifenden Unterrichtsmethode war sehr hoch und und ermöglichte vielen SchülerInnen einen guten Start in den weiterführenden Schulen. Beliebt waren Ausflüge – meist lange Fußmärsche zur Bräutigamseiche im Dodauer Forst oder zu den Spiegelteichen im Holm. Die Zahl der Schulkinder schwankte zwischen 25 und 50; 1948 waren es dann aber 122 (!) Kinder, die jetzt in Vor- und Nachmittagsgruppen unterrichtet wurden.

Kriegsende

Mai 1945 – Erst britische, dann polnische Besatzung in Timmdorf

Während der ersten Tage der Besatzung beschlagnahmte die britische Armee den Hof Trollholm und die in Timmdorf am Behlersee gelegenen Villen für ihre Soldaten. Die deutschen Eigentümer und die z.T. bei ihnen einquartierten Flüchtlinge aus Kiel, Hamburg und den Ostgebieten wurden ausgewiesen und mussten sich eine andere Bleibe suchen. Für die Timmdorfer Kinder, die die damit einhergehenden Sorgen nur wenig mitbekamen, begann eine aufregende Zeit. Die Größeren versuchten, sich den Soldaten mit dem wenigen bisher in der Schule gelernten Englisch verständlich zu machen. Vor allem aber begann der große Tauschhandel: Zigaretten gegen zu Hause entwendete Wertsachen wie z.B. Uhren, wertvolle Bücher u.a. Der im Dorf wohnende Dr. Zapp diagnostizierte bald bei einigen Jungen schwere Nikotinvergiftungen; als er Theo Birkenfeldt untersuchen sollte, meinte er, das könne er sich sparen, da er gerade bei Jochen Besthorn diese Diagnose gestellt habe! In dieser Zeit brannte das besetzte Trollholm vollständig ab.

Ausgerechnet in Timmdorf fand dann aber eine besondere Form der Besatzung statt: nach wenigen Wochen verließen die Engländer das Dorf und eine Offiziersgruppe der Polnischen Exilarmee übernahm die Häuser. Ca. 250.000 Polnische Offiziere, Zivilisten, später auch geflohene Kriegsgefangene, die zu Beginn und während des Krieges des Krieges vor der deutschen Armee fliehen konnte und in England eigene Armeeeinheiten der Marine und der Luftfahrt bildeten, nahmen 1944/5 aktiv am Einmarsch nach Deutschland teil und erhielten von Großbritannischen eine eigene Besatzungszone nahe der holländischen Grenze zugewiesen. Unterlagen dazu, warum dann ein Teil von ihnen ausgerechnet in Timmdorf eingewiesen wurde, sind nicht auffindbar.
Während die Engländer z.T. Kleinnmöbel, Bettwäsche und Haushaltsgegenstände zwischen den Häusern hin und her getauscht hatten, suchten die Polen schon bald Gespräche mit den in Garten- oder Bootshäusern gelandeten Hauseigentümern, um mit deren Hilfe die Dinge wieder an ihren Platz zu bringen. Mir ist ein Fall vor Augen, bei dem am Abend die Bettdecken „zum Abholen“ auf die Terrasse gelegt worden waren. Zugleich entstanden Kontakte mit einigen Familien im Dorf, die auch nach Kriegsende bestehen blieben; die meisten dieser Polen kehrten nicht in ihr Land zurück, da sie dort der Verfolgung durch die Sowjetarmee ausgesetzt worden wären. Viele wanderten nach Kanada, Australien oder in die USA aus. Die Kontakte zu Timmdorfern bestanden viele Jahre weiter.

Flüchtlinge in Timmdorf

Kiel als wichtiger Standort der Werftindustrie und Stützpunkt der Kriegsmarine wurde schon im Juli 1940 zum ersten Mal von britischen Flugzeugen angegriffen. Es folgten unzählige Angriffe – nur 20% der Häuser konnten am Kriegsende als nicht beschädigt bezeichnet werden.Schon früh wurden Luftschutzbunker gebaut, Kinder in Schullandheime z.B. auf Rügen oder im Süden Deutschlands geschickt und ca.150.ooo Erwachsene in ländliche Gebiete evakuiert.So fanden zahlreiche dieser Menschen auch in Timmdorf; Unterkunft; sie wohnten bei einheimischen Familien oder bauten kleine Ferienhäuser am damals entstehenden Inselweg und vereinzelt auch schon auf der Seekoppel.

Im Winter 1945 kamen dann die ersten Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten, vor allem aus Ostpreußen, Pommern, aus dem Posener Gebiet, später auch aus Mecklenburg. Den längsten und weitesten Weg hatten drei Familien aus „Bessarabien“, heute Moldawien, hinter sich: von ihren Jahrhunderte alten Höfen in der Nähe des Schwarzen Meeres waren sie 1940 auf Befehl der NS-Führung in gemeinsamen hunderte Kilometer langen Trecks in das gerade eroberte „Generalgouvernement im Osten Polens gezogen und hatten dort Höfe der vertriebenen oder zur Zwangsarbeit verurteilten Polen übernommen. 1944/45 mussten sie dort wieder fliehen, diesmal bis Timmdorf. Einige kamen mit gut ausgestatteten Treckwagen, wie z.B. die Familie Krosigk aus Mecklenburg, die in das Bootshaus von Besthorn einquartiert wurde, oder auch mit wenig oder ohne jegliches Gepäck und Wertsachen, die schon den weiten Weg von Pommern oder gar Ostpreußen in überfüllten Zügen, mit dem Schiff oder gar zu Fuß hinter sich hatten. Nicht für alle fand sich gleich eine Unterkunft. Deshalb wurde der Klassenraum der Schule durch an Drähten gehängte Laken in einzelne „Räume“ geteilt, in denen jeweils eine Familie unterkam. Alle Häuser bzw. Wohnungen wurden vermessen und danach entschieden, wie viele Flüchtlinge jeweils aufgenommen werden konnten. Wie auch bei der heutigen Aufnahme von Flüchtlingen versuchte mancher, mit fadenscheinigen Gründen das Bereitstellen seiner Wohnungen zu verhindern. Durch diesen Zuzug der „Ausgebombten“ und Flüchtlinge hatte sich die Bevölkerung unseres Dorfes von 225 (1939) auf 727 (1946) erhöht.

Heizungsprobleme im Winter 1946

Zwar hatte wohl jede Familie damals noch einen Ofen, zunehmende Probleme gab es aber mit der Holzbeschaffung. Das Sammeln von Reisig in den Wäldern brachte nicht genug, um mindestens ein Zimmer warm zu kriegen ….

Da machten die Engländer als Besatzungsmacht ohne es zu wollen ein attraktives Angebot:: sowohl im auf der Südseite des Dieksees gelegenen Holm als auch in den an den Behlersee und Höftsee grenzenden Wäldern begannen sie, Bäume zu fällen und abzutransportieren. Da die Seen damals so fest und dick gefrorenes Eis trugen, dass man gut mit dem Kasch`schen Pferdegespann oder auch dem Auto auf ihm fahren konnte, machten ganze Familien sich des Nachts auf, um auch für sich heimlich einige der geschlagenen Bäume zu holen. Dazu band man mehrere Schlitten aneinander, marschierte mit ihnen übers Eis, lud ganze Stämme auf und trat vor Beginn der Dämmerung den Heimweg an. Ich erinnere mich, dass auf unserem Grundstück zwei dicke, lange Buchen in den offenen Graben an der Grenze zum Nachbargrundstück gelegt und gut mit Buschwerk bedeckt wurden .Nachdem erst einmal ein wenig abgewartet wurde, ob der Diebstahl bemerkt worden war, konnte man dann daran gehen, die Stämme des Nachts nach und nach zu zerlegen – und das Haus wurde wieder warm! Am Behlersee meinten die Engländer, einen Familienvater erkannt zu haben – er musste für einige Wochen nach Eutin ins Gefängnis.

Die Heizungen in den Häusern waren auch viel phantasievoller angelegt als wir es heute kennen: so heizte in unserem Haus ein guter Küchenofen einen großen Hohlraum in der anschießenden Wand zum Wohnzimmer, durch ein Eisengitter trat im Wohnzimmer genügend Wärme aus, um es angenehm warm zu bekommen. Zugleich liefen von diesem Hohlraum aus Luftschächte ins Obergeschoss, wo sie bei Bedarf durch Schiebegitter in den Schlafzimmern Wärme austreten ließen.

Ist von diesem einfachen Prinzip vielleicht von findigen Unternehmern auch bei heutigen Neubauten etwas zu übernehmen??

3. Mai 1945 und 2022

Gedenken an die am 5. Mai 1945 in Timmdorf getöteten jungen israelischen Frauen Eingerahmt durch Harfenmusik und Liedern von Reinhard Mey und “Hewenu Shalom” fand 77 Jahre nach dem grausamen Geschehen fand am 3. Mai 2018 auf dem Himberg eine Gedenkstunde statt, deren Inhalt hier durch Wiedergabe der Ansprache dargestellt wird:

“Ich begrüße Sie sehr herzlich – die vielen Timmdorfer, die VertreterInnen der Gemeinde, Monika und Ingaborg von der Gedenkstätte Ahrensbök, Miranda von Amnesty International, Dr. Peter Bethke für den Friedenskreis Eutin sowie den Historiker Herrn Dr. Dölger aus Plön. Besonderer Dank vorweg an Frau Ulrike Tschentscher, die uns die einführende Instrumentalmusik und ihren Dannauer Chor anbot – und besonders die Mithilfe von Dagmar und die moralische Unterstützung durch viele andere! Wir stehen hier auf dem Himberg, der für unser Dorf immer eine große Bedeutung hatte. Lange war der bis zur Bahn abfallende Hang in sogn. Öffentliche Parzellen gegliedert, die jeweils von einer oder mehreren Familien als Gartenland genutzt werden durften. Hier lernten wir Kinder ganz nebenbei Säen, Pflanzen und Ernten als gemeinsame dörfliche Aufgabe kennen. Viel schöner und effektiver als im elterlichen Gärten! Hier oben wurde der Maibaum aufgestellt (vielleicht in Zukunft mal wieder ?). Wir 8-14 Jahre alten sog. JM – Mädel führten eingeübte Volkstänze vor. Die Jungen mussten mehrfach als vor-wehrmachtliche Ertüchtigung durchs Brombeergebüch den Berg hinauf robben; wenn der Anführer sie dabei zu sehen bekam, wurde das ganze wiederholt. Bei Fliegerangriffen versammelten sich Erwachsene und Kinder am Bahnhof und betrachteten über den Himberg hinweg den von Bränden rot gefärbten Himmel über Kiel und mit Schaudern die Scheinwerfer, die versuchten, hoch am Himmel ein Flugzeug anzustrahlen, damit die Flak es treffen konnte. Keiner sprach ein Wort … Wie üblich wurden wir Kinder zwar überall hin mitgenommen, gesprochen wurde mit uns nicht, Fragen überging man oder forderte uns auf, hierüber den Mund zu halten. ….  An einem der letzten Apriltage 1945 trafen wir sog. Jungmädel uns zum letzten Mal hier oben, fassten uns bei den Händen und sangen in sentimentaler Trauerstimmung „Ich hatt´ einen Kameraden …“.
Nach dem Krieg – von dem wir ja wohl alle überzeugt waren, er sei der letzte in Europa – wurden hier diese weithin sichtbaren Kreuze und Gedenksteine für die in den beiden Weltkriegen nicht nach Hause zurück gekehrten Timmdorfer Männer aufgestellt. Alle im letzten Krieg „Gefallenen“ oder auf immer „Vermissten“ kannte ich, mit einigen von ihnen bin ich noch in unsere einklassige Dorfschule gegangen. Unser junger und geliebter Lehrer Willy Kröger, Heidis Langes Vater, starb bereits früh in der Nähe von Lemberg – heute Lwiw – , 16 meist ganz junge Menschen unseres kleinen Dorfes mit damals vielleicht 200 Einwohnern! Wahrhaft ein Aderlass für ein so kleines Dorf!Es waren im einzelnen Willy Kröger, die Brüder Günther und Ulrich (Butzi) Buschmeyer, Dito Besthorn, die Brüder Willy und Hans Steen, Johann Krützfeldt, Waldemar Grage, der Sohn des Behlersee-Fischers Meier, …. de Laport, Otto Kosimski, Hans-Peter Hutzfeldt, Heinz König, 2 Brüder Röper, der Bahnhofleiter Dittmann und als letzter im April 1945 Arnold Littmann. Das waren 17 meist sehr junge Menschen – wahrhaft ein Aderlass für so ein kleines Dorf mit 1939 ca. 250 Einwohnern!   –  Lassen Sie uns ihrer gedenken!

Und heute jährt sich zum 77. Mal der Tag, an dem 1945 ein Zug mit jungen ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiterinnen bei der Durchfahrt durch unser Dorf 2 x von britischen Tieffliegern beschossen wurde. Zum Gedächtnis an das Leid dieser z.T. erst 15- und 17-Jahre alten Frauen wollen wir hier diesen Stein enthüllen – nach so vielen Jahren und zu einem Zeitpunkt, wo das bisher für unmöglich Gehaltene – ein neuer Krieg in Europa – uns allen tief auf der Seele liegt und mit Angst erfüllt.
Den Stein hat uns David Wilkens nicht nur geschenkt, sondern ihn auch noch zum Steinmetz nach Behl und schließlich hier herauf transportiert und einlogiert– unter Verzicht auf eine Bezahlung. Dafür großen Danke, David!!! Ja, und der Steinmetz Markus Johansson zeigte Dagmar und mir bei unserem ersten Besuch gleich ganz viel Mitempfinden und erklärte, für diesen Zweck werde er selbstverständlich ohne Bezahlung arbeiten! Welch harte Arbeit dies dann wurde, davon konnte ich mich beim Zuschauen überzeugen. Ich freue mich, dass Sie beide heute trotz ihrer vielen Arbeit dabei sein können. Im Namen aller Anwesenden unser ganz großer Dank!

Jetzt zur Geschichte dieser jungen jüdischen Frauen, ehe sie am 3. Mai hier durch Timmdorf kamen: Barbara Lorbeer, eine der 2 Frauen, die noch leben und denen ich am 3. Mai 2018 bei ihrem Besuch hier die damaligen Standorte ihres Zuges zeigte, erinnert sich: Im Frühjahr 1944 wurden auch die vorher in Ghettos eingewiesenen Juden Ungarns in Güterwagen getrieben und nach Auschwitz gebracht. An der Rampe in Birkenau selektierten KZ-Ärzte, darunter der berüchtigte Dr. Mengele, sie nach „Arbeitsfähigen“ und jenen, die sofort in Gaskammern kamen. Ein deutscher Bewacher flüsterte heimlich Barbaras Mutter zu, sie solle die „kleine“ Tochter lieber der Großmutter an die Hand geben … so gingen d i e beiden ins Gas und die noch arbeitsfähige Mutter mit den zwei jugendlichen Töchtern in die Ausschwitze Baracken. Es ist für uns schwer nachzuempfinden, welche seelischen Schäden die jungen Frauen davon trugen!
Von Auschwitz wurden 500 von ihnen im August 1944 wiederum mit Güterwagen in das Lager der Munitionsfabrik Lübberstedt östlich von Bremen gebracht. Dort waren sie in 12-stündigen Arbeitsschichten und ohne jeglichen Schutz mit der Herstellung von Fliegerbomben und weiterer gefährlicher Munition beschäftigt. Auch der Transport der schweren Bomben war Schwerstarbeit; wie Pferde mussten die mit der Peitsche vorangetriebenen Frauen mit Hartgummi bereifte Wagen selbst ziehen – ja, bei Treibstoffausfall sogar die Lastwagen schieben. Frauen, die krank wurden oder schwanger waren, wurden ins KZ Bergen-Belsen gebracht; von ihnen überlebten wenige.
Am 18. April 1945 verkündete Himmler den Führerbefehl, alle Zwangsarbeiterlager zu räumen und die Gefangenen in Richtung Ostsee zu bringen – Ziel waren 4 in der Neustädter Bucht weitestgehend manövrierunfähige und ohne Treibstoff liegende Schiffe – das größte von ihnen das ehemalige Luxuskreuzfahrtschiff Arcona. Bei Ihrem Untergang nach tragischer irrtümlicher Bombardierung durch englische Flugzeuge versanken 7000 KZ-Häftlinge ….. Auf die wenigen, die sich aus dem Schiff ins kalte Wasser der Ostsee retten konnten, wurde vom Ufer aus von deutschen Soldaten geschossen …. Die später tot am Ufer geborgenen wurden auf dem Ehrenfriedhof an der Auffahrt zur A1 bei Haffkrug beigesetzt. Auch die noch lebenden 300 Frauen des MUNA-Werkes wurden am 20. April wiederum in Güterwagen gebracht – diesmal für eine 13-tägige Kreuz- und Querfahrt in Richtung Ostsee, mit weniger als Notverpflegung versorgt. Als in Lübeck die Gefahr, von den Engländern entdeckt zu werden, zu groß wurde, fuhr der Zug nach Anhängen von 18 Güterwagen, beladen u.a. mit einer Flak und Munition, am 1. Mai in Richtung Kiel weiter. Bei Bockholt, kurz vor Eutin, wurde der Zug von Tieffliegern entdeckt und in 2 Angriffen massiv beschossen. Die Explosion des Munitionswagens führte zu schweren Verletzungen der aus den Wagen gelaufenen Frauen. Aber auch die Bewacher schossen gezielt auf sie. Von den Frauen wurden dabei 150 verletzt oder getötet. Sie wurden am Abend von Eutiner Bürgern gefunden, begraben bzw. ins Voßchul-Lazarett gebracht.
Am Vormittag des 3 . M a i machte dieser Zug auf dem hohen Gleis hinter dem Timmdorfer Wendeplatz des damaligen Tickermokergangs Halt; die begleitenden Soldaten entsorgten Mengen ihrer Munition und teils große Geräte über das Grundstück Winkelmann in den Dieksee – beobachtet von einigen von uns Kindern, die die elterlichen Verbote, hinauszugehen, wohl überhört hatten. Wir konnten auch auf den Bahndamm hinauf klettern und durch schmale Öffnungen der Güterwagentüren auf dem Boden liegende und sitzende Frauen erkennen. Auf unsere Frage an einen Bewacher, wohin der Zug fahre, wurde uns erklärt: „Zum Bau des Westwalls.“ Wie absurd das war, habe ich, geprägt durch jahrelanges Schweigen der Erwachsenen und Indoktrinierung in der Hitlerjugend, erst Jahre später erkannt. Der Sohn unseres musikalischen Schusters Arthur Dobbertin, der auf der Rückseite des Gleises an der Malenter Straße wohnte, erzählte später, er habe das Wegtragen von Toten an die Ausfahrtstraße nach Malente beobachtet.
Viel später, in den 1970er und wieder 90er Jahren, wurde ich vom Minenräumkommando Kiel besucht und gebeten, ihnen die Orte der Entsorgung zu zeigen. Es wurde auch viel gefunden, nur die 2 x 3 m großen Container nicht – sie bleiben wohl für ewig im moorigen Untergrund versunken.
Als der Zug am frühen Nachmittag weiterfuhr, wurde er hier unterhalb dieses Himbergs ein weiteres Mal von Tieffliegern beschossen; die Frauen wurden durch den Kiefernwald hinauf und nach Abflug der Engländer mit vorgehaltenen Gewehren wieder in den Zug zurück getrieben. Diesen Vorgang hat Gisela Beuttenmüller von der hohen Treppe ihres ehemaligen „Gasthauses zu den 5 Seen“ beobachtet. Und wie Marianne Littmann berichtete, haben sich 2 junge Frauen danach in ihrem Kuhstall befunden; über deren weiteren Verbleib ist nichts bekannt. Der Zug kam danach nur bis zum Übergang zu Kasch` Koppel am Behler See – da waren die Flugzeuge wieder da; der Beschuss war schwer; 16 der Frauen lagen anschließend tot auf Kaschs Weide, die Lokomotive war manövrierunfähig. Erst am frühen Abend konnte der Zug bis unterhalb des Plöner Parnass Berges weiterfahren. Herr Dr. Dölger, der sich sehr früh mit dem Schicksal dieser jungen Frauen befasst und auch in einem Projekt am Plöner Gymnasium erarbeitet hat, ist der Meinung, dass mehrere der in Timmdorf überlebenden Frauen sich mühsam zu Fuß entlang der Strecke bis Plön schleppten und vor Hunger in den nördlichen Straßen um Essen bettelten.
Inzwischen hatten die Bewacher irgendwie Kenntnis vom Nahen der britischen Truppen erhalten; eine der Frauen soll erzählt haben, ihnen sei von den Bewachern zugerufen worden: “Ihr könnt laufen, jetzt sind wir dran.“ Die Bewacher blieben verschwunden und wurden meines Wissens wie die meisten höheren NS-Funktionäre niemals vor Gericht gestellt.
Die Frauen hielten sich eine Nacht hungrig und ausgehungert im Parnass-Wald auf. Einen Tag später, am 4. Mai, erreichten die englischen Truppen Plön. Die Frauen wurden befreit, gesundheitlich versorgt und mit Essen versehen: sie konnten später in ihre Heimat zurückkehren. Viele von ihnen wanderten aber nach Amerika, Israel, Australien und in andere Länder aus.
Von den 300 in Lübberstedt in die Güterwagen verfrachteten Frauen haben wohl nur 200 Transport und Angriffe überlebt. Ganz herzliche Grüße an alle DorfbewohnerInnen soll ich von der heute 95-jährigen Barbara Lorber sagen. sie ist eine sehr rüstige und mutige 95-jährige Alte Dame, die mich mit ihrer Familie am 3. Mai 2019 hier besuchte, um sich den Ort ihres schlimmen Erlebens von mir zeigen zu lassen. Und sie wäre zu gern gekommen, eine gerade überstandene Corona-Erkrankung erlaubt dies leider nicht.

Was hätten diese für eine Wahnidee gefallenen jungen Männer aus Timmdorf und diese jungen jüdischen Frauen in ihrem Leben bewirken können – fürs Leben lernen, glücklich sein, Familien gründen, Kinder und Enkel beim Heranwachsen erleben, Erfahrungen weitergeben, vielleicht mit diesen Erfahrungen Politik gestalten und für den Frieden und den Erhalt der Natur eintreten … An diese sinnlos Gestorbenen mögen uns diese Steine in Zukunft immer erinnern !!!

Kinderfest, Ringreiten und weitere Dorffeste

Schon 1949 fand in Timmdorf erneut ein Kinderfest – neben dem Feuerwehrfest und dem Ringreiten das jährlich größte Fest im Dorf. Zur langfristigen Vorbereitung hatte ein Geldsammlung stattgefunden, bei denen die Timmdorfer beachtliche Geldbeträge für den Kauf von Geschenken spendeten. Am Vormittag fanden auf dem Gartengelände von Kasch die immer wiederkehrenden und manche neue Spiele statt: Tauziehen, Ringstechen, Armbrustschießen, Wett-Hindernislaufen. Eierlaufen, Sacklaufen, Aufführungen und Gesangdarbietungen …. Anschließend wurden dann die Preise für die jeweiligen SiegerInnen in den Spielen entweder in der Schule, später – meist unter Teilnahme vieler Dorfbewohner – in der Alten Schmiede an der Pferdetränke verteilt. Am Nachmittag fand ein großer Umzug durch das Dorf statt, an dem die Kinder unter großen selbst gebundenen Blumenbogen gingen. Die zu König und Königin gekürten und an ihren breiten Schärpen zu erkennenden Kinder durften ebenso wie ältere Timmdorfer in Kasch` Pferdekutsche Platz nehmen. Vorweg marschierten unsere Feuerwehrkapelle oder auch der Malenter Spielmannszug.
Als beschlossen wurde, dass auch die Kinder der Timmdorfer Gäste teilnehmen dürften, wurde die Organisation für die jeweils verantwortlichen Eltern zu einer kleinen „Unternehmeraufgabe“. Am Abend fand das große Tanzfest auf Kasch`Diele statt – Frauen und Männer klar getrennt auf langen Bänken entlang der Wände der großen Diele.

Das zweite große Dorffest war das „Ringreiten“. Nach einem großen Umzug durchs Dorf wetteiferten die teilnehmenden dörflichen Reiter, Reiterinnen und Gäste darin, den an einer Art Galgen hängenden Ring zu stechen. Auch andere Reiterspiele wurden gemacht – wie z.B. Semmelbeißen.
.Timmdorf hatte zeitweise eine eigene Reitabteilung mit dem Reitlehrer Günther Littmann, die sich auf Turnieren auch mit denjenigen von Bösdorf, Grebin, Görnitz, Dannau und weiteren Orten maß. Auf den Bildern sind unter anderem zu sehen: Renate Schumacher beim Sprung und Bruno Schumacher mit seinem galoppierenden Viererzug.

Das Ende Der Timmdorfer Dorfschule

Das Schuljahr 1971/1972 sollte das letzte der Timmdorfer Schule sein! Die Gemeinde beschloss, sie aufzulösen und die Kinder in die Grundschule Malente zu integrieren. Bis dahin bestand kaum ein Kontakt der Timmdorfer nach Malente – im Dorf gab es einen oder zeitweise sogar zwei Einkaufsläden, zum Markt fuhren die Timmdorfer mit dem Zug nach Plön und machten dort auch besonders anfallende Besorgungen, viele Timmdorfer (auch ich) waren noch nie im Malenter Ortskern gewesen, wir kannten nur den Bahnhof aus der Zeit, in der wir Ende der 1940-er Jahre zu Fuß zum Lütjenburger Zug gehen mussten, um nach Eutin zu fahren.Auf unserer Strecke fuhr lange noch kein Zug. Den Timmdorfer Eltern blieb ein Jahr, ihre Kinder auf die Einschulung in Malente vorzubereiten. Da kamen zwei Mütter auf die Idee, die 10 im Sommer 1972 einzuschulenden Kinder in einer Art Vorschule auf das nächste Jahr vorzubereiten.

Sie besorgten Vorschulmaterial, ließen die Kinder einen Kellerraum selbst ausmalen – eine Seite mit Wandtafelfarbe – und hatten mit dieser Gruppe und dem dann folgenden Jahrgang viel Spaß. Auch die drei Kinder der bei Wessendorf einquartierten türkischen Familie waren schnell integriert. Zu unserem großen Glück konnten wir engen Kontakt zu der für unsere und die Kreuzfelder Kinder eingeplanten Lehrerin, Frau Gampert, aufnehmen. Sie nahm fortan am Kinderfest teil, um die Kinder kennen zu lernen, besuchte die Vorschul-Gruppe, sprach mit jedem Kind und erzählte von der Malenter Schule. Sie beriet auch bezüglich unseres Materials und lobte die Kinder für ihre bemalten, gebastelten und geschriebenen Dinge. Damit konnte für die Kinder eine Vorstellung davon geschaffen werden, was im nächsten Jahr auf sie zukommen würde – ja, sie wurden sogar neugierig. Tatsächlich lief diese Vorschule zwei Jahre und führte auch dazu, dass Timmdorfer Eltern – nach Wunsch und Absprache mit der jeweiligen Lehrkraft – am Malenter Unterricht teilnehmen durften, von Frau Gampert als Hilfe voll integriert!

Ein weiteres Problem war, dass man doch nach Ansicht von uns Eltern die 6-jährigen nicht allein mit dem Zug fahren lassen konnte.! Also startete das nächste Elternprogramm: je zwei der Eltern begleiteten die Kinder im Zug und in Malente auf dem Weg zur Schule. Irgendwie verbrachten sie die Zeit bis zum Schulende in Malente und machten das Gleiche auf dem Heimweg. Und diese Begleitung war unbedingt nötig: nicht nur, dass die „Kleinen“ es den Großen gleich tun wollten – z.B. unterwegs die Tür ein wenig öffnen, vor Halten abspringen usw. Schlimmer war, dass gerade in dem Moment, in dem die Kinder vom hinteren Bahnsteig übers Gleis zum vorderen gehen mussten, dort der Gegenzug einlief. Manchmal hielt er gerade 2 m vor den erschrockenen Kindern! Es dauerte einige Jahre, bevor das Land uns erstaunt bestätigte, dass diese Situation in Schleswig-Holstein einmalig und unmöglich sei. Da endlich wurde ein Schulbus angeschafft!

Alle Texte von Käthe Birkenfeldt